Bin ich schön?!

Als ich diese Titelzeile kürzlich in einer Zeitschift sah, fielen mir spontan viele Gespräche ein, mit Menschen, die gerne Bilder von sich machen lassen wollten.

Eigentlich würde ich gerne Fotos von mir machen lassen, aber ich bin nicht schön genug‚ ist der Tenor der meisten Menschen, die sich zum ersten Mal vor meine Kamera trauen.

In Folge werden meist die eigenen Mängel aufgelistet: Meine Nase ist zu groß, meine Hüften zu breit, die Brüste zu schlaff, die Haut nicht straff genug …

Ich habe im selben Moment ein ganz anders Bild meines Gegenübers. Mir gegenüber sitzt eine hübsche Frau, deren Äußeres ihren Charakter widerspiegelt und sich angenehm vom Einheitsbrei dessen abhebt, was uns die Mode- und Kosmetikindustrie als Ideal vorschreibt.

Während sich vor meinen Augen die äußere Erscheinung mit den Worten und Gesten zu einer Einheit zusammenfügen und in meinem Kopf schon erste Bilder entstehen, wie ich diesen einzigartigen Menschen gerne fotografieren würde, schwenkt mein Vis-a-vis dazu über, Vergleiche zu anderen Frauen herzustellen: Die Schiffer hat so tolle Haare, die Kim Smith hat wunderschöne Lippen, Giselle Bündchen makellose Augenbrauen …

Schönheit im Wandel der Zeit
Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte sich in der westlichen Welt das Schlankheitsideal. Interkulturell betrachtet ist dies jedoch eher die Ausnahme.
In vielen Ländern wird auch heute noch die weibliche Attraktivität über volle Hüften und wohlgerundete Körper definiert.

Die 20er Jahre

Zu Beginn der 20er Jahre änderte sich das Erscheinungsbild grundlegend. Die Haare wurden nicht mehr hochgesteckt, sondern möglichst in weichen Wellen auf Kinnlänge getragen. Ein kleiner Kopf, möglichst große Augen und ein voller, geschminkter Mund fungieren nun als Sinnbild weiblicher Schönheit.

Die 60er Jahre

Marylin Monroe und Brigitte Bardot galten in den 60ern als das Schönheitsideal schlechthin: Natürliche Rundungen lagen im Trend.
Dies endete mit der 68er Welle, wo mit dem Model Twiggi die Zeit der hageren und knochigen Schönheiten begann.

Heute

Gebräunte Haut gilt als attraktiv, extrem schlanke Körper sind angesagt, dünner als in jeder anderen Epoche. Üppige Oberweiten bei den Frauen und ein muskulöser Oberkörper bei den Männern zählen ebenso dazu. In punkto Körperbehaarung besinnen wir uns wieder auf antike Ideale. Wie bei den alten Griechen gilt es auch heute wieder als schön, Körperbehaarung sorgfältig zu entfernen.

Wie so oft bei den Vorgesprächen zu meinen Shootings stelle ich fest, dass von den besagten Vorzeigedamen der Modelwelt die jeweilige Schokoladenseite zu einem Puzzleteil wird und aus vielen unterschiedlichen Puzzleteilen dann ein Idealbild entsteht, mit dem sich mein Gegenüber dann vergleicht.

Was dabei unter den Tisch fällt: Neben der ‚Schokoladenseite‘ hat jedes dieser Ideale auch seine Problemzone, ganz abgesehen davon, dass dass, was wir in diversen Magazinen sehen sich meist stark von dem Menschen unterscheidet, der ursprünglich für das Foto Model stand. Photoshop ersetzt die Botox-Spritze, den Schönheitschirugen oder auch mal das Fitness-Studio.

Aber warum ist das so?

Woher kommen all diese Selbstzweifel, das negative Bild, dass viele von sich selber haben? Nach einer Forsa-Studie sind 68% der Erwachsenen mit ihrem Aussehen unzufrieden. Gleichzeitig zeigen andere Studien auf, dass die Fremdwahrnehmung – also wie wir auf Andere wirken – in den meisten Fällen viel positiver ausfällt.

Wir sind zu kritisch mit uns selbst‚, meint der Psychologe Tom Diesbrock. Wir vergleichen uns ständig mit unerreichbaren Vorbildern, das kann nicht funktionieren. ‚Models arbeiten hart dafür, so schlank und attraktiv zu sein, dafür hat man im Alltag gar keine Zeit‚, so Diesbrock. ‚Außerdem wird in den meisten Fällen durch gute Belichtung, Schminke oder aufwendige Bildbearbeitung nachgeholfen‚.

So sehe ich das auch. Schönheit liegt im Auge des Betrachters, auch wenn manche behaupten, Schönheit sei messbar.  Deshalb rate ich beim Vorgespräch zu meinen Shootings dazu, sich nicht allzusehr auf die eigene Kritik, sondern vor allem auf die Fremdwahrnehmung zu stützen.

Es ist wichtig, dass man sich wohl fühlt in seiner Haut. Denn wer sich wohlfühlt, der strahlt das auch aus. Der innere Kritiker ist Teil unserer Persönlichkeit, deshalb können wir ihn nicht loswerden. Das sollte uns aber nicht daran hindern, auf die Reflektionen der Menschen um uns herum zu achten.

Ein Fotoshooting ist eine ideale Möglichkeit, sich selbst durch die Augen des Fotografen wahrzunehmen. Was hat man dabei schon zu verlieren? Die Verwendung der Bilder, z.B. was Veröffentlichung betrifft, werden vertraglich festgelegt. Ein guter Fotograf wird sich Zeit nehmen, um auf den Menschen vor seiner Kamera einzugehen, um dessen Wesen zu erfassen und ins Bild einfließen zu lassen. Er sollte auch in der Lage sein, Ihre ‚Schokoladenseite‘ zu erkennen.

Wichtig ist, dass ein Vertrauensverhältnis zwischen Model und Fotograf entsteht, vor allem, wenn man zum ersten Mal vor der Kamera steht. Wenn man sich ‚gut aufgehoben‘ fühlt, dann bin ich mir sicher, dass auch tolle Bilder dabei entstehen – und ganz nebenbei vielleicht ein anderer Blickwinkel und eine positivere Einstellung zu sich selbst. Bin ich schön!